Geschichte Theorie Methoden SS 2018: Figur–Grund–Kontinuum
Arbeiten Studierender
Im Pflichtmodul Geschichte Theorie Methoden gewinnen die Studierenden nicht nur einen Einblick in architekturgeschichtliche Entwicklungen und architekturtheoretische Diskussionen; darüberhinaus werden architektonische Themen und theoretische Erkenntnisse mithilfe von praktischen entwerferischen Übungen reflektiert und nachvollzogen.
Wöchentliche Vorlesungen und Analysen von Texten werden begleitet von betreuten Wochenaufgaben, in denen der theoretische Inhalt in methodisches Entwerfen zu übersetzen ist. Abgeschlossen wird das Semester mit einem vierwöchigen, auf den Vorübungen aufbauenden Kurzentwurf.
In jedem Semester bildet ein Thema den Ausgangspunkt einer forschenden Entdeckungsreise (Proportion, Ordnung, Erschließung, Fassade…). Im SS 2018 beschäftigten wir uns mit dem Verhältnis von Körper und Raum in der Architektur und loteten das entwerferische Potenzial eines spezifischen Konzepts des architektonischen Raums aus: dem von Bernhard Hoesli in den 1980er Jahren geprägten Begriff des Figur-Grund-Kontinuums. Körperliche Bauteile und der Raum zwischen diesen bedingen einander und sind, so Hoesli, gleichwertig.
Das Konzept des Figur-Grund-Kontinuums ermöglicht den ambivalenten Ausgleich zwischen zusammenhängendem Raumkontinuum und separierten Einzelräumen. Im Kurzentwurf wurden durch die aus der Theorie angeregte Entwurfsmethodik Wohnhäuser gestaltet, die nicht nur zum Wohnen geeignet sind, sondern verschiedenste, sich immer neu wandelnde Aneignungsformen evozieren.
Ausgangspunkt und „Material“ zum Entwurf waren 16 geometrische Grundfiguren.
Hochschule Anhalt, Dessau, Geschichte Theorie Methoden WS 16/17: Architektonischer Raum
Arbeiten Studierender
Der Architekt, Architekturtheoretiker und Benediktinermönch Hans van der Laan erarbeitet zwischen 1953 und 1973 eine Theorie des architektonischen Raums, die er in seinem Buch De architectonische ruimte präzise ausformuliert. Das 1977 auf holländisch erschienene Werk wird zwar im Folgenden ins englische (1983), französische (1989), deutsche (1992) und italienische (2002) übersetzt, bleibt aber ein letztlich wenig beachtetes Ausnahmewerk.
Van der Laans Ausgangsüberlegung wurde bis heute kaum gewürdigt. Van der Laan skizziert, von einer bestechend einfachen Idee ausgehend, grundsätzliche Grundrissdispositionen. Seine Grundannahme führt zu einem mathematisch-logischen Regelwerk, aus dem sich Grundrisstypen generieren lassen, die Analogien zu wesentlichen historischen Bautypen (Cella, Stoa, Atriumhaus, Gymnasion, Therme, Basilika, Klosteranlage…) anklingen lassen.
Van der Laan unterscheidet zwischen zwei räumlichen Grundprinzipien: der Ausweitung als reiner räumlicher Ausdehnung und der Nähe als Beziehung zwischen Körpern im Raum.
Die Ausweitung beschreibt die metrische Ausdehnung eines Raums, sie hängt ab von der messbaren Länge des den Raum erzeugenden Körpers.
Die Nähe dagegen bezieht sich auf das Gegenüber zweier Körper. Sie wird vom Betrachter empfunden und ist nicht allein vom metrischen Abstand der Körper abhängig: Bei gleichem Abstand empfinden wir zwei dünne Scheiben nämlich als weiter voneinander entfernt als zwei breite Scheiben.
Damit Nähe entsteht, muss also die Dicke des Körpers erkennbar sein.
Van der Laan wendet den logischen Unterschied zwischen Nähe und Ausweitung schließlich auf eine allseitige Raumumschließung an. Zwischen Wänden, die keine Öffnungen haben, besitzt der umschlossene Raum lediglich Ausweitung. Enthält eine Wand aber eine Öffnung, so erkennt man sie als körperliches Volumen, welches zu seinem Gegenüber in die Beziehung der Nähe tritt.
Van der Laans Bedingung für einen „architektonisch“ genannten Raum ist das Vorhandensein von mindestens einer Beziehung der Nähe.
Die größte mögliche Raumabmessung ist dabei abhängig von der Wandstärke und beträgt maximal das Siebenfache derselben. Darüber stellt sich, so van der Laan, keine Nähe zwischen körperlichen Bauteilen ein; es kann keine Beziehung mehr zwischen ihnen wahrgenommen werden und folglich kein architektonischer Raum durch sie konstituiert werden.
Schließlich nennt van der Laan noch zwei Möglichkeiten, die Raumbreite zu erhöhen: durch gegenüberliegende Öffnungen kann sie verdoppelt werden und durch das Einbeschreiben von Stützenreihen bis auf das 49fache der Wanddicke gesteigert werden.
Aus van der Laans Grundlogik von Nähe und Ausweitung, durch die subjektive und objektive Aspekte der Raumbildung aufeinander bezogen werden, ergeben sich – rein logisch zu Ende gedacht – vier Grundarten der architektonischen Raumdisposition: einfache Nähe (Längsbau), doppelte Nähe (Zentralbau), verdoppelte Nähe und superponierte Nähe. Daraus lässt sich eine Typologie räumlicher Grunddispositionen ableiten, die van der Laan in seinem Buch zwar anreißt, aber nicht vollständig durchkonjugiert.
Zunächst untersuchten die Studierenden die typologischen Möglichkeiten des van der Laan’schen Raumsystems, um mit diesem Vokabular schließlich Grundrisse zu entwerfen. Beim Entwerfen nach dem erarbeiteten Regelwerk wurden dann wie von selbst ausschließlich räumliche Grundparameter thematisiert: Längsbau/Zentralbau, Introvertiertheit/Extrovertiertheit, kontextbezogen/selbstbezogen, zentrale/dezentrale Raumorganisation, Innen-Außen-Bezug, Autonomie/Abhängigkeit der Einzelräume untereinander, Raumaddition/Raumdivision usw.
Bei jeweils vorgegebenen Außenabmessungen entstanden Raumanordnungen, die durch vollkommen unterschiedliche räumliche Charaktere, Orientierungen und Richtungsgefüge gekennzeichnet sind und die – obwohl allein einem abstrakten, mathematisch-logischen Regelwerk folgend, Analogien zu zahlreichen historisch entstandenen Bautypologien anklingen lassen.